Warum Barrierefreiheit im Web essentiell ist
Das Internet wurde mit dem Grundgedanken geschaffen, Informationen für alle Menschen zugänglich zu machen. Doch für viele Menschen mit Behinderungen stellen Websites immer noch erhebliche Barrieren dar. Barrierefreies Webdesign (auch als Web-Accessibility bezeichnet) zielt darauf ab, diese Hindernisse zu beseitigen und eine inklusive digitale Welt zu schaffen.
In Deutschland leben etwa 7,8 Millionen Menschen mit schweren Behinderungen – das sind fast 10% der Bevölkerung. Weltweit sind es über eine Milliarde Menschen. Durch barrierefreies Webdesign ermöglichen wir nicht nur dieser bedeutenden Gruppe den Zugang zu digitalen Inhalten, sondern verbessern die Benutzererfahrung für alle Nutzer.
"Das Web ist für alle Menschen da, unabhängig von ihrer Hardware, Software, Sprache, Kultur, ihrem Standort oder ihrer körperlichen oder geistigen Fähigkeit."- Tim Berners-Lee, Erfinder des World Wide Web
Gesetzliche Grundlagen in Deutschland und der EU
Barrierefreiheit im Web ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern in vielen Fällen auch eine gesetzliche Anforderung:
1. Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0)
- Gilt für öffentliche Stellen des Bundes
- Basiert auf den internationalen WCAG-Richtlinien
- Definiert konkrete Anforderungen an barrierefreie Websites
2. EU-Richtlinie 2016/2102
- Verpflichtet alle öffentlichen Stellen in der EU zu barrierefreien Websites und Apps
- Schrittweise Umsetzung seit 2018
- Regelmäßige Überprüfung und Berichterstattung
3. European Accessibility Act (EAA)
- Erweitert die Anforderungen auf den privaten Sektor
- Betrifft E-Commerce, Bankdienstleistungen, Medien und mehr
- Vollständige Umsetzung bis 2025 erforderlich
Hinweis für Unternehmen
Auch wenn Ihr Unternehmen noch nicht direkt von gesetzlichen Anforderungen betroffen ist, kann die Umsetzung von Barrierefreiheit:
- Ihre Zielgruppe erweitern
- Ihr Image als sozial verantwortliches Unternehmen stärken
- Sie auf zukünftige gesetzliche Anforderungen vorbereiten
- Das Risiko von Diskriminierungsklagen verringern
Die wichtigsten Prinzipien barrierefreien Webdesigns
Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) definieren vier Grundprinzipien, die als POUR-Prinzipien bekannt sind:
1. Wahrnehmbar (Perceivable)
Informationen und Benutzeroberflächen müssen auf eine Weise präsentiert werden, die von allen Nutzern wahrgenommen werden kann:
- Alternativen für nicht-textliche Inhalte:
- Alt-Texte für Bilder
- Untertitel und Transkripte für Audio und Video
- Beschreibungen für komplexe Grafiken und Diagramme
- Anpassbare Darstellung:
- Inhalte, die ohne Informations- oder Strukturverlust angepasst werden können
- Responsive Design für verschiedene Bildschirmgrößen
- Möglichkeit zur Textvergrößerung ohne Funktionsverlust
- Unterscheidbare Inhalte:
- Ausreichender Farbkontrast (mindestens 4,5:1 für normalen Text)
- Nicht nur Farbe zur Informationsvermittlung nutzen
- Steuerbare Audio-Inhalte
Beispiele für barrierefreie Multimedia-Elemente
2. Bedienbar (Operable)
Die Komponenten der Benutzeroberfläche und Navigation müssen bedienbar sein:
- Tastaturzugänglichkeit:
- Alle Funktionen müssen per Tastatur bedienbar sein
- Keine Tastaturfallen, die den Fokus einschließen
- Sichtbarer Fokusindikator
- Ausreichend Zeit:
- Anpassbare Zeitlimits oder Möglichkeit zur Verlängerung
- Pausier-, Stopp- oder Ausblendenfunktionen für bewegte Inhalte
- Anfallsvorbeugung:
- Vermeidung von Inhalten, die Anfälle auslösen könnten
- Keine schnell blinkenden Elemente (weniger als 3 Mal pro Sekunde)
- Navigationshilfen:
- Klare, konsistente Navigation
- Mehrere Wege, um Inhalte zu finden
- Beschreibende Titel und Überschriften
3. Verständlich (Understandable)
Informationen und die Bedienung der Benutzeroberfläche müssen verständlich sein:
- Lesbarkeit:
- Klare Sprache und Formulierungen
- Identifikation der Hauptsprache der Seite
- Erklärung von Fachbegriffen und Abkürzungen
- Vorhersehbarkeit:
- Konsistente Navigation und Funktionalität
- Keine unerwarteten Kontextwechsel
- Vorhersehbares Verhalten bei Fokus oder Eingabe
- Eingabehilfe:
- Fehlererkennung und -vorschläge
- Beschriftung und Anweisungen für Eingabefelder
- Fehlervermeidung bei wichtigen Transaktionen
4. Robust (Robust)
Inhalte müssen robust genug sein, um von verschiedenen Benutzeragenten, einschließlich assistiver Technologien, zuverlässig interpretiert werden zu können:
- Kompatibilität:
- Valider HTML-Code
- Name, Rolle und Wert für benutzerdefinierte Steuerelemente
- Statusmeldungen programmatisch erkennbar
Ich akzeptiere die AGB
Vergleich zwischen nicht-barrierefreiem und barrierefreiem Checkbox-Element
Praktische Umsetzung: Die wichtigsten Maßnahmen
1. Semantisches HTML verwenden
Semantisches HTML bietet die Grundlage für Barrierefreiheit, indem es Struktur und Bedeutung definiert:
- Verwenden Sie HTML5-Strukturelemente wie
<header>
,<nav>
,<main>
,<article>
- Nutzen Sie Überschriftenebenen (
<h1>
bis<h6>
) in hierarchischer Reihenfolge - Kennzeichnen Sie Listen mit
<ul>
,<ol>
und<li>
- Verwenden Sie
<button>
für Schaltflächen und<a>
für Links
2. Formulare optimieren
Barrierefreie Formulare sind entscheidend für die Nutzbarkeit einer Website:
- Verbinden Sie
<label>
mit Formularfeldern über die Attributefor
undid
- Gruppieren Sie zusammengehörige Felder mit
<fieldset>
und<legend>
- Geben Sie klare Anweisungen und Fehlermeldungen
- Verwenden Sie ARIA-Attribute wie
aria-required
undaria-invalid
3. Tastaturbedienbarkeit sicherstellen
Viele Menschen mit motorischen Einschränkungen oder Sehbehinderungen nutzen die Tastatur zur Navigation:
- Stellen Sie sicher, dass alle interaktiven Elemente per Tastatur erreichbar sind
- Gestalten Sie den Fokusindikator deutlich sichtbar
- Behalten Sie eine logische Tabulatorreihenfolge bei
- Bieten Sie Tastaturkürzel für häufig verwendete Funktionen
4. ARIA (Accessible Rich Internet Applications) einsetzen
ARIA erweitert HTML um zusätzliche Informationen für Screenreader und andere assistive Technologien:
- Verwenden Sie
aria-label
undaria-labelledby
für nicht sichtbare Beschriftungen - Nutzen Sie
aria-expanded
undaria-hidden
für dynamische Inhalte - Setzen Sie
role
-Attribute ein, um die Funktion von Elementen zu verdeutlichen - Beachten Sie: Native HTML-Elemente sind oft besser als ARIA-Ergänzungen

Screenreader-Nutzer profitieren besonders von semantischem HTML und ARIA-Attributen
Testen auf Barrierefreiheit
Die Überprüfung der Barrierefreiheit sollte ein kontinuierlicher Prozess sein, der verschiedene Methoden kombiniert:
1. Automatisierte Tests
- WAVE Web Accessibility Evaluation Tool: Browser-Erweiterung für schnelle Tests
- axe DevTools: Umfassende Prüfung im Browser
- Lighthouse: Integriert in Chrome DevTools
- WCAG-EM Report Tool: Für detaillierte Bewertungen
2. Manuelle Tests
- Tastaturtest: Navigation ohne Maus
- Screenreader-Test: Mit NVDA, JAWS oder VoiceOver
- Kontrast-Check: Mit Tools wie Colour Contrast Analyser
- Zoom-Test: Nutzbarkeit bei 200% Vergrößerung
3. Nutzertests
- Tests mit Menschen mit verschiedenen Behinderungen
- Zusammenarbeit mit Organisationen für Menschen mit Behinderungen
- Feedback-Mechanismen für Barrierefreiheitsprobleme
Fazit: Barrierefreiheit als kontinuierlicher Prozess
Barrierefreies Webdesign ist keine einmalige Aufgabe, sondern ein fortlaufender Prozess. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern kontinuierlich Verbesserungen vorzunehmen. Jeder Schritt in Richtung mehr Barrierefreiheit verbessert die Nutzererfahrung für alle – nicht nur für Menschen mit Behinderungen.
Neben der moralischen Verpflichtung und den gesetzlichen Anforderungen bietet barrierefreies Webdesign auch handfeste Vorteile:
- Größere Reichweite und breitere Zielgruppe
- Verbesserte Benutzerfreundlichkeit für alle Nutzer
- Bessere Suchmaschinenoptimierung
- Stärkung der Markenreputation
- Schutz vor rechtlichen Risiken
Beginnen Sie heute mit kleinen Schritten und machen Sie Barrierefreiheit zu einem integralen Bestandteil Ihres Designprozesses. Das Internet sollte für alle zugänglich sein – helfen Sie mit, diese Vision zu verwirklichen.